Digital People Folge 15: Prof. Jürgen Becker

Prof. Dr.-Ing. Dr.h.c. Jürgen Becker leitet das Institut für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV) und ist Direktor im Bereich Embedded Systems and Sensors Engineering (ESS) am Forschungszentrum Informatik (FZI). Am KIT leitet er den Forschungsbereich „Eingebettete elektronische Systeme“.

1. Moderne Prozessoren, eingebettete elektronische Systeme für vernetzte autonome Autos und Digitalisierung in Industrie 4.0 mit zuverlässiger KI-Integration – mit welchen Beiträgen gestaltet Ihr Forschungsbereich die Zukunft mit?

Von autonomfahrenden Autos, selbstfliegenden Drohnen und Flugtaxis für die urbane Luftmobilität bis hin zum intelligenten Einsatz von Sensorik in Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge – eingebettete elektronische Systeme, realisiert durch siliziumbasierte Halbleitertechnologien, sind zentral für viele Bereiche. Hier leisten wir Beiträge in der werkzeuggestützten Integration hochperformanter, kosten- und energiegerechter Hardware oder bei Software-Lösungen. Die Integration zuverlässiger, rechenaufwändiger Lösungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) ist häufig nur dann möglich, wenn sehr leistungsfähige Prozessoren u. a. mit neuen hochintegrierten Hardwarebeschleunigern zum Einsatz kommen. Zudem ist es wichtig, dass Systeme im sicherheitskritischen Umfeld, in dem eine Fehlfunktion zu ernsten Schäden für den Menschen oder seine Umgebung führen kann, selbst in Ausnahmefällen vorhersehbar und zuverlässig agieren. Genau das entwickelt sich jedoch zu einer immer größeren Herausforderung. Aufgrund der komplexer werdenden Prozessortechnik wird es schwieriger, die Algorithmik der KI zu stemmen und auch neueste Technologien in entsprechenden Reifegraden realisieren zu können. Durch die Entwicklung neuer, zuverlässiger Hardwarebeschleuniger unter Einbezug paralleler On-Chip-Kommunikation und ausreichender Fehlertoleranz, tragen wir gezielt zur Entwicklung neuer Systemlösungen in diesem Kontext bei.

Jürgen Becker
Prof. Jürgen Becker

2. Corona hat vielfältige Aktivitäten zur Digitalisierung der Lehre ausgelöst. Welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht?

Durch den Beginn der Corona-Pandemie haben wir kurzfristig neue digitale Modelle, Formate und Möglichkeiten gebraucht. Zunächst sind wir dazu übergegangen, die im Hörsaal nicht mehr durchführbaren Veranstaltungen durch virtuelle Alternativen zu ersetzen – je nach Veranstaltung durch Livestreams oder voraufgezeichnete Videos. Diese haben wir gezielt ergänzt durch digitale Lernmaterialien und Diskussionsforen. Das hat sehr gut funktioniert und dazu geführt, dass wir beim objektiven Vergleich der Prüfungsleistungen vor und während der ersten Corona-Phase keine nennenswerten Unterschiede feststellen konnten. Dies änderte sich jedoch im zweiten Jahr der Pandemie. Aus diesem Grund ist die für mich wichtigste Erkenntnis, dass Präsenzveranstaltungen nicht mit ausschließlich hybriden oder virtuellen Modellen zu ersetzen sind. Hier bedarf es weiterer kreativer Formate, die unter anderem Isolations- und Entkopplungseffekten unter den Studierenden vorbeugen können. Hilfreich kann dabei die frühzeitige Aufteilung von Studierenden in kleine Gruppen sein, um ihnen in Breakout-Räumen die Möglichkeit zum Knüpfen von Kontakten zu geben – in etwa so, wie es sonst auf dem Gang vor dem Hörsaal abgelaufen wäre. Später habe ich erfahren, dass sich hierdurch einige Lerngruppen und sogar Freundschaften innerhalb meiner komplett virtuell gehaltenen Erstsemestervorlesung entwickelt haben. Dementsprechend müssen digitale Lehrmethoden in jedem Fall verstärkt eingesetzt und ausgebaut werden, durch geeignete Kombinationen mit den Präsenzveranstaltungen mit interaktivem Rückkopplungspotential.

3. Ihre Veranstaltung zum Thema „Digitaltechnik“ soll zukünftig durch ein lern- und motivationsförderliches Blended-Learning-Konzept unterstützt werden. Was motiviert Sie zur Umgestaltung Ihrer Lehre?

Die Erstsemestervorlesung „Digitaltechnik“ ist eine besondere Veranstaltung in einer frühen Studienphase, in der praktische bzw. anschaulich nachvollziehbare Inhalte eine entscheidende Bedeutung einnehmen. Derartige Elemente können jedoch in gut befüllten Hörsälen oftmals nicht oder nur teilweise vermittelt werden. Daher rührt meine Motivation, die Vorlesung mit neuen digitalen und interaktiven Inhalten zu ergänzen. Das soll zum einen die Motivation der Studienanfänger für das Studienfach „Digitaltechnik“ erhöhen und zum anderen frühzeitig das Interesse an unseren Forschungsthemen wecken – ganz nach dem am KIT stark verankerten Prinzip „Lehre folgt Forschung“.

Unsere alltäglichen Begleiter wie Smartphones, Laptops oder Kreditkarten bis hin zu den größten Supercomputern der Welt basieren alle auf denselben logischen Grundbausteinen und derselben digitalen Arithmetik, die ich seit vielen Jahren vermittle. Oftmals rücken diese elementaren theoretischen Grundlagen im weiteren Studienalltag etwas in den Hintergrund und die konkreten Anwendungsbezüge zu den weit verbreiteten mikroelektronischen Systemen sind nicht ausreichend im Bewusstsein. Dieser Situation möchte ich mithilfe unseres Blended-Learning-Konzepts entgegenwirken und die entsprechend direkten Verknüpfungen zwischen Theorie, Forschung und Anwendung besser aufzeigen bzw. deren Verständnis vertiefen.

Blended Learning, also die gewinnbringende Kombination aus Präsenz- und Online-Lehre, eignet sich besonders gut, um komplexe Zusammenhänge innerhalb unserer technischen Studiengänge besser aufzuzeigen, sodass man nach der Vorlesung insbesondere die erfahrungsgemäß schwierigen Themen tiefgehend verarbeiten und besser verstehen kann. Durch geeignete Impulse, zum Beispiel kurze Videosequenzen, wollen wir die Studierenden gezielt unterstützen. Davon versprechen wir uns nachhaltige didaktische Mehrwerte.

4. Forschendes Lernen und die Entwicklung von Future Skills bei den Studierenden: Welche Chancen sehen Sie durch den Einsatz von Blended Learning für die Lehre?

Der systematische Einsatz derartiger digitaler didaktischer Möglichkeiten ermöglicht ein effizientes Lernen und das Verstehen komplexer theoretischer Inhalte im eigenen Tempo mit individuellen Geschwindigkeiten. Zudem können wir so unseren Studierenden kontinuierlich interessante Artikel und weiterführende Videos zu aktuellen Forschungsfragen zur Verfügung stellen, um sie zu einem Blick über den Tellerrand zu motivieren. Sowohl zeitlich als auch didaktisch wäre das im Rahmen traditioneller Vorlesungsformate nicht möglich.

Von dem gezielten Einsatz solcher Blended-Learning-Techniken verspreche ich mir, Studierende noch besser aktiv in die Lehrveranstaltung einbinden zu können. Bisher besteht diese aus Vorlesung, Übung und Tutorium, wobei bei diesen Formen der Wissensvermittlung vor allem die Dozierenden im Mittelpunkt stehen und weniger die Studierenden. Mit den neuen digitalen Inhalten des Blended Learning möchte ich die Studierenden motivieren, sich selbst intensiver und individuell mit den Lehrinhalten auseinanderzusetzen. Durch mehr praxisnahe Umsetzung und einhergehende Use-Cases sollen sie die Relevanz und Bedeutung der Lehrinhalte nachhaltig erkennen und verarbeiten können. Zudem möchten wir die Selbstständigkeit und den fragenden Geist durch die eigenständigen Herangehensweisen bestmöglich fördern und auch hierdurch ein tieferes Verständnis vermitteln. Die Studierenden sind unsere jüngsten Forscher am KIT und ich versuche stets, sie bereits in meiner Erstsemestervorlesung zum Forschen zu motivieren. Blended Learning bietet hierfür hervorragende zusätzliche Instrumente, die über die Möglichkeiten einer reinen Präsenzvorlesung hinauszugehen. Durch online angeleitete Challenges können die Studierenden zum Beispiel die in der Vorlesung vermittelten theoretischen Grundlagen in realen Anwendungs- und Forschungsszenarien erfolgreich anwenden. So wird das Prinzip „Lehre folgt Forschung“ so früh und nachhaltig wie möglich gefördert.

5. Zum Schluss noch eine „persönliche“ Frage zur Digitalisierung Ihres Alltags: Welche Webanwendungen finden Sie bereichernd, wenn Sie im Netz – beruflich oder privat – unterwegs sind?

Selbstverständlich haben die Optionen der zeitlich und örtlich flexiblen Online-Meetings in den bisherigen Pandemiephasen stark zugenommen. Aufgrund damit einhergehender Vorteile, werden wir all diese Möglichkeiten auch zukünftig weiter beibehalten. Im Laufe der Zeit hat sich aber auch gezeigt, dass ausschließlich virtuelle Treffen nachhaltig nicht funktionieren, denn persönliche Kontakte können nicht vollständig ersetzt werden.

Heutige Konferenzwerkzeuge (MSTeams, Zoom oder WebEx) funktionieren immer besser, u. a. als App mobil im Auto und auch in Kombination mit digitalem Such- Übersetzungs- sowie Bibliothekszugriff. Das beeindruckt mich privat wie beruflich immer wieder, vor allem aufgrund neuer mobiler Meeting- und Interaktionsoptionen in Echtzeit. Zudem werde ich so langsam ein Fan von Instagram, wo nun auch das ITIV vertreten ist und die „Latest News“ aus dem Institut und der Forschung effizient abrufbar sind.

(NL02/2022)