Digital People: Folge 9: Prof. Dr. Dr.-Ing. Dr. h.c. Jivka Ovtcharova
Prof. Dr. Dr.-Ing. Dr. h. c. Jivka Ovtcharova wurde in 2003 zur ersten Professorin der Fakultät für Maschinenbau und Leiterin des Instituts für Informationsmanagement im Ingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) berufen. Seit 2004 ist sie auch als erste und bis jetzt einzige Direktorin im Forschungszentrums Informatik (FZI) in Karlsruhe tätig.
Die gebürtige Bulgarin studierte Maschinenbau und Automatisierung in Sofia und Moskau und arbeitete an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, der Fraunhofer Gesellschaft und in der Automobilindustrie am inspirierenden Zusammenspiel von Technik und Informatik.
Mit den Schwerpunkten Ihres Instituts trägt Prof. Ovtcharova entscheidend dazu bei, traditionelle Ingenieurarbeit auf Basis moderner Technologien wie Virtuelle Realität und Künstliche Intelligenz faszinierend und erlebbar zu machen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der Resourceful Human und seine Rolle bei der umfassenden digitalen Transformation von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Prof. Ovtcharova ist Gründerin von mehreren Zentren und Laboren am KIT, wie das Lifecycle Engineering Solutions Center (LESC) sowie das Industrie 4.0 Collaboration Lab. Ihre neuesten Unternehmungen sind das „Center for Artificial Intelligence Talents (CAIT)" sowie die Stiftung „Gesellschaft für Digitalisierung, Bildung und Qualifikation (dbq)“.
Die Professorin mit Doppelpromotion in Maschinenbau und Informatik ist eine der 25 Frauen für die digitale Zukunft in Deutschland laut des Business- und Lifestyle-Magazins für Frauen EDITION F und Gewinnerin des ersten Inspiring Fifty DACH Award 2019. Jivka Ovtcharova ist Mentorin, Keynote Speakerin, Mitglied des Senats der Wirtschaft Europas sowie verschiedener Jurys und Ausschüsse für Digitalisierung und KI national und international, u.a. der AI-42 Market Intelligence Ltd.
Im Folgenden stellt sich Prof. Ovtcharova mit Ihren aktuellen Forschungsschwerpunkten „Virtual Engineering & Virtual Twin“ vor. Das Virtual Engineering bietet eine personalisierte Sicht auf Produkte und Dienstleistungen und ermöglicht unterschiedlichen Benutzergruppen, unter anderem Entwicklern, Lieferanten, Herstellern und Kunden gleichermaßen, physisch noch nicht existierende Produkte rein virtuell zu handhaben und ihre Eigenschaften und Funktionen realitätsnah und ganzheitlich zu beurteilen. Unter dem Begriff „Virtual Twin“ wird die Modellbildung verstanden, mit dem Produkte sowie Maschinen und ihre Komponenten einheitlich entworfen werden, und zwar einschließlich sämtlicher Geometrie-, Funktions- und Fertigungsdaten. Der Virtual Twin wird durch die Struktur und das Verhalten von Komponenten beschrieben, die Echtzeitdaten erzeugen. Diese Daten werden analysiert, normalerweise in der Cloud, und mit anderen Daten vernetzt, die sich auf die laufende Umgebung um sie herum beziehen. Sie werden dann dem Benutzer aus verschiedenen Perspektiven präsentiert, damit er ihren Status remote verstehen kann.
1. SIE GELTEN ALS EINE FÜHRENDE EXPERTIN IM BEREICH „VIRTUAL ENGINEERING UND VIRTUAL TWIN“. WAS GENAU VERSTEHT MAN DARUNTER UND WORIN LIEGT DAS BESONDERE POTENZIAL DES VIRTUAL ENGINEERING UND DER VIRTUAL TWINS?
Die wichtigsten Trends heute deuten klar darauf hin, dass es sich bei der digitalen Transformation nicht nur um die nächste Technologiewelle, sondern eher um einen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit handelt. Dabei spielen immaterielle Ressourcen eine zentrale Rolle. Virtual Reality, Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, Cloud und Edge Computing und Virtual Twins schaffen physisch nichtexistierende Welten und Märkte. Dass Computersysteme weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden, ist unbestreitbar. Anders als bei den konventionellen technologiegetriebenen Lösungen, wie zum Beispiel dem rechnerunterstützten Konstruieren, müssen sich die Menschen jedoch nicht mehr an die Funktionsweise der Computersysteme anpassen um diese zu bedienen. Stattdessen übernehmen sie selbst die aktive Rolle, überwachen die Maschinen mit Hilfe intelligenter Assistenzsysteme, analysieren komplexe Abläufe und setzen deren Auffassungskraft und Potenzial sinnvoll und gewinnbringend für das Unternehmen ein.
Der Übergang zum „Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung“ setzt heutzutage neue Modellierungsmethoden und Kollaborationswerkzeuge voraus, die unter dem Begriff Virtual Engineering zusammengefasst werden und ein grundlegend verändertes Verständnis der menschlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse im Umgang mit den digitalen Technologien erfordert.
Das Ziel des Virtual Engineering und des Einsatzes von Virtual Twins ist es, physische und virtuelle (d.h. computergenerierte, betretbare) Ingenieursumgebungen zusammenzuführen, um die realitätsnahe Mensch-Maschine-Kollaboration in einem Realitäts-Virtualitätskontinuum zu ermöglichen. Ein Realitäts-Virtualitätskontinuum ist dabei eine Skala zwischen der vollständig virtuellen und der vollständig physischen Realität und umfasst daher alle möglichen Varianten und Aufstellungen von realen und virtuellen Objekten. Die Realitätsnähe wird dadurch erreicht, dass alle Interaktionen von Menschen mit Maschinen oder Computern personalisiert und logisch nachvollziehbar in Echtzeit aufgebaut werden. Die menschlichen Sinne werden durch technische Geräte getäuscht, um den individuellen Empfindungsgrad in virtuellen Räumen zu erhöhen.
Das besondere Potenzial liegt in dem praktischen Einsatz der Virtuellen Realität als ein Medium, das aus interaktiven Computersimulationen besteht, welche die Lage und Handlungen des Nutzers verfolgen und das Feedback zu einem oder mehreren menschlichen Sinnen ersetzen oder erweitern. So entsteht bei dem Nutzer der Eindruck, in der Simulation mental präsent zu sein. Dabei geht es um sein Gesamtverhalten, wie z.B. seine Körperhaltung, Gestik und Sprache. So wird der Mensch mit seinem ganzen Körper und seiner Denkweise zur Interaktion in einer VR-Umgebung eingebettet, was mit dem Fachbegriff Immersion gekennzeichnet wird. Der Mensch nimmt Informationen mit seinen fünf Sinnen gleichzeitig auf und reagiert darauf mit Sprache, Handlungen und unbewusster Körpersprache. Aufgabe einer immersiven Umgebung ist es daher, dieses breite Spektrum menschlicher „Ein-und Ausgangskanäle“ mit Hilfe von VR-Systemen abzubilden, um eine vollkommene Mensch-Maschine -Interaktion zu ermöglichen. So wird der Mensch vom Bediener eines Computersystems zum Bedienten, was heutzutage eine der größten Herausforderungen der Digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft darstellt. Damit ist die Zukunft von Organisationen, Arbeitskulturen und Lebensstilen gemeint, in der Menschen nicht mehr in Prozessen, sondern verstärkt in Erfahrungen und Sinneseindrücken denken.
2. WIE NUTZEN SIE VIRTUAL REALITY IN IHRER LEHRE? WELCHE MÖGLICHKEITEN ERÖFFNEN SICH DADURCH?
Ziel unserer Lehre mit Virtual Reality ist es, digitales Wissen erlebnis- und erfahrungsorientiert in berufliche Fähigkeiten umzusetzen - schnell, pragmatisch und handlungsorientiert. Seit der Gründung von LESC in 2008 steht am IMI eine hochmoderne und leistungsfähige Lernumgebung, die s.g. CAVE (Cave Automatic Virtual Environment), zur Verfügung. Diese stellt die Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Menschen und virtuellen Gegenständen dar, die sich symbolisch in einem Aktionsraum erfassen lassen. In den letzten Jahren werden für die Lehre auch mobile Endgeräte eingesetzt, so wie HTC Vive Pro. Dadurch wird die Desktop-Umgebung als klassische Mensch-Maschine-Schnittstelle im mobilen Bereich nun abgelöst. Durch den Einsatz moderner und leistungsfähiger (auch internetbasierter) VR-Lösungen ergeben sich wichtige Vorteile, u.a. eine wesentlich schnellere Aufbereitung und Übertragung von Daten und Informationen an den Nutzer, da sich dieser mit seinen Sinnen viel präsenter und eingebundener fühlt. Daraus folgen kürzere Einarbeitungszeiten, eine effizientere Kommunikation und ein besseres Einschätzungsvermögen.
Die Studierenden lernen dabei mit den drei Haupteigenschaften der Virtuellen Realität praktisch umzugehen: Immersion, Imagination und Interaktion. Unter Immersion (auch „Eintauchen“) versteht man die Einbettung des Benutzers in eine virtuelle Umgebung, die durch eine Kombination von Hardware- und Softwarekomponenten generiert wird. Die Einbettung erfolgt in Echtzeit und hängt stark von der Fähigkeit der Hardware und Software ab, die menschlichen Sinne natürlich anzusprechen. Dies geschieht in der Regel durch Optimierung von technischen Faktoren wie der Erweiterung des Sichtfeldes des Benutzers, Erhöhung der Bildauflösung sowie Einbindung von akustischen Signalen, Vibrationen und Kraft-Feedback, die allesamt den Eindruck der persönlichen Anwesenheit der Studierenden in der virtuellen Umgebung fördern. Die Imagination steht für die realitätsgetreue Einrichtung der virtuellen Umgebung als Abbildung der Wirklichkeit und ihrer physikalischen Eigenschaften. Einerseits wird die Imagination durch das Rendering (die Bildsynthese) der virtuellen Abbildung (auch Szene genannt) bestimmt. Anderseits sind statische, dynamische und funktionelle Überprüfungen in einem sog. digitalen Mock-Up (Vorführmodell oder Attrappe) entscheidend für die Tauglichkeit und Leistungsfähigkeit der virtuellen Umgebung. Die Interaktion dient dazu, eine personalisierte und intuitive Verbindung des Menschen mit der virtuellen Umgebung zu erstellen. Durch Bewegung im Raum können die Studierende, besser als auf einem Bildschirm und ähnlich wie im realen Leben, virtuelle Welten erkunden.
Für die moderne Bildung gibt es keine Lösungen von der Stange – der individuelle Lernprozess und die persönlichen Erfahrungen der Studierende spielen eine zentrale Rolle. Alleinstellungsmerkmal unserer VR-Praktika, die wir seit 2010 jedes Semester für Studierende an verschiedenen Fakultäten anbieten, besteht darin, reale Probleme „in den Sandkasten zu setzen“. Dabei geht es darum, aufkommende Technologien spielerisch einzusetzen, zu experimentieren, Wissen in Fähigkeiten umzusetzen und digitale Kompetenz bei den Studierenden aufbauen, d.h. ein Gespür dafür zu bekommen, was wirklich wesentlich ist. So haben unsere VR-Praktika gezeigt, dass sich die Teilnehmer innerhalb von nur 2-3 Monaten in komplett neue Anwendungsgebiete eingearbeitet haben und praktische Lösungen liefern konnten, wie z.B. ein Fahrsimulator für Fahrschulen in China, ein Virtueller Zwilling für die Fertigung oder Smart Living für Wohnungskonzepte zu dem Thema „Junges Wohnen“. Die Ergebnisse sprechen für sich selbst (s. unser Youtube-Kanal).
Die Methodik des VR-Praktikums wurde international mit einem BEST PAPER AWARD und deutschlandweit mit dem Stiftungspreis „Wissen und Kompetenzen“ ausgezeichnet. Wichtige Ergebnisse wurden in Form von wissenschaftlichen Publikationen und Studien national und international veröffentlicht. Namhafte Industriepartner wie Audi AG, EnBW, IPG Automotive und Porsche AG haben das Praktikum unterstützt.
3. SIE HABEN EINE BEACHTLICHE KARRIERE IM BEREICH DER WISSENSCHAFT UND TECHNIK VORZUWEISEN. WIE SIND SIE MIT TECHNIK IN VERBINDUNG GEKOMMEN UND WAS HAT SIE DAZU BEWEGT EIN TECHNIKSTUDIUM AUFZUNEHMEN?
Begeisterung wird nicht angeboren, diese wird geboren. Als erstes kam ich in Verbindung mit der Technik durch den technischen Fortschritt. Ich bin im Sputnikjahr geboren und meine Kindheit war durch die Erfolge der Raumfahrt der 60-er und 70-er geprägt. Es war damals ganz normal sich in der Schule für Raketentechnik und Weltraumforschung zu interessieren. Die fundierte Schulbildung in Mathematik, Physik und Gestaltung, sowie die Praktika im Handwerk haben dazu beigetragen, dass die Technik Jungs und Mädchen zugleich faszinierte. Dazu kam noch die Rolle der Familie. In meiner Familie hat sich keiner beruflich mit Wissenschaft oder Technik befasst, aber es herrschte ein enormes Interesse an allgemeines Wissen, gestärkt durch die vielen populärwissenschaftlichen Bücher und Vorträge. Wir hatten damals keinen Fernseher aber viel Zeit zu lesen und uns austauschen. Unvergesslich bleibt für mich der Augenblick als mein Vater mir die Trilogie „Geschichten aus 100000 Jahren Technik“ von Peter Klemm im Alter von 10 Jahren geschenkt hat. Die Geschichte und die zahlreichen Illustrationen haben meine Vorstellung von meiner Zukunft geformt. Ich wollte Ingenieurin werden, woran ich bis jetzt nicht für einen Augenblick gezweifelt habe. Dazu kam noch ein besonderes Erlebnis. Die Tochter einer befreundeten Familie studierte zu dieser Zeit Maschinenbau an der TU Sofia. Ich dürfte ihr beim Zeichnen mit Tusche zusehen und helfen. Der Blick auf die junge attraktive Frau mit hochgesteckter Frisur und engem roten Kleid vor einem langen Tisch voller Zeichnungen und Tuschestifte hat mir zu verstehen gegeben, dass Technik und Frauen zusammengehören und wunderbar harmonieren können.
4. WELCHE KERNKOMPETENZEN WERDEN WIR ZUKÜNFTIG BENÖTIGEN, UM MIT EINER ZUNEHMEND DIGITALISIERTEN, AUTOMATISIERTEN, VERNETZTEN UND KOMPLEXEN WELT UMGEHEN ZU KÖNNEN?
Unter den vielen sogenannten Digitalkompetenzen, geht es in erster Linie darum, dass Menschen mit dem „Digitalen Mindset“ benötigt würden. Der Begriff hört sich noch wie ein Buzzword an, aber wir verbinden damit schon unsere persönliche Einstellung zu der Digitalisierung, die Art wie wir denken, handeln oder fühlen. Dabei geht es auch um unsere Fähigkeiten, Kompetenzen und Erfahrungen im Umgang mit der Digitalisierung, die wechselseitig zusammengehören. Im Ingenieurbereich richten sich die Digitalisierungsansätze immer noch an Maschinen oder Computer aus und nicht an uns Menschen als Mittelpunkt der Betrachtung. Doch durch die rasante Entwicklung der Internetplattformen, sozialen Netzwerke und Online-Dienste wächst entsprechend die Rolle der Menschen in direkter Kommunikation mit anderen Menschen, aber auch mit Maschinen und Computern. Der Schwerpunkt der Betrachtung geht vom „Objekt“ (Maschine, Computer) zum „Subjekt“ (Mensch). Neueste Trends weisen darauf hin, dass sich die Grenze zwischen „Online- und Offline-Sein“ für Menschen auflöst. Dadurch verändert sich die Vorstellung der Menschen von Realität im Raum und in der Zeit. Materielle und immaterielle Welten verschmelzen. Echtzeitfähige Anwendungen, unterstützt durch realitätsnahe Visualisierungstechnologien ermöglichen es, unsichtbare Phänomene sichtbar und frühzeitig validierbar für die Menschen zu machen, um dadurch zum Beispiel neue Produkteigenschaften und -funktionen zu verwirklichen.
Dabei hängt unser digitales Denken sehr stark vom konkreten Tätigkeitsfeld ab. Das digitale Denken der Ingenieure ist sicherlich stark durch die Entwicklung der IT-Werkzeuge bestimmt, aber es geht auch um eine weitere Digitalkompetenz, um Kreativität, um ideenreich und gestalterisch digitale Produkte zu entwickeln. Zum Vergleich, bei der „Kreativität“ in den Bereichen der bildenden und darstellenden Kunst geht es um das „Was“, bei den Ingenieuren um das „Wie“ der Digitalisierung. Wenn ein Schriftsteller den Roman schreibt, schreibt der Ingenieur das Drehbuch.
Eine dritte Digitalkompetenz steht im Zusammenhang mit der Rolle der agilen Methoden. Bei den agilen Methoden geht es um zwei wichtige Aspekte: flexible Organisations- und Kommunikationsstrukturen sowie Mechanismen der Unsicherheits- oder Ungewissheitstoleranz (Ambiguitätsmanagement, Ambiguitätstoleranz). Ohne den Einsatz von Netzwerken, Graphen und den entsprechenden Algorithmen wäre unser Internet-Alltag undenkbar. Unternehmensstrategien bauen traditionell auf Hierarchien. Hierarchische Strukturen sind, wie man aus der Informatik weiß, gut für den Aufbau und den Test von Systemen, deren Funktionalität im Voraus festgesetzt sind. Hierarchien sind auch gut für das Controlling. Sie sind aber nicht gut für den Change. In Bezug auf hohe Priorität, schnelle Reaktionsfähigkeit und Best Practices sind Design Thinking Labs, Makerspaces oder Sandboxes – wie in unserem Industrie 4.0 Collaboration Lab praktiziert – einzurichten. Die Umsetzung von Ideen im Sandkasten symbolisiert dabei einen Ort des Zusammenkommens zum spielerischen Denken, Kommunizieren und Handeln. Ein Sandkasten wird als Think Tank gesehen, in dem die Menschen über Disziplinen und Organisationen hinweg eine gemeinsame Infrastruktur nutzen, um Lösungen zu kreieren, diese umzusetzen und zu vermarkten. Ganz nach dem Motto: „Face it!“ – auf den Punkt kommen, begreifen, pragmatisch und handlungsschnell vorgehen. Dabei geht es insbesondere um die Fähigkeit, mit Widersprüchlichkeiten, Unterschieden oder mehrdeutigen Informationen, die schwer verständlich oder sogar inakzeptabel erscheinen, umzugehen.
5. WAS SIND IHRE TIPPS FÜR FRAUEN, DIE IN DER DOCH NOCH SEHR VON MÄNNERN GEPRÄGTEN WELT DER INFORMATIK KARRIERE MACHEN WOLLEN?
Die Informatik ist eine Basis- und Querschnittsdisziplin. Im Mittelpunkt der Informatik steht nicht der Computer, wie üblich gemeint, sondern der Digitalcode und er ist universell. Anders als in der Analogwelt, in der wir leben und produzieren, geht es in der digitalen Welt um völlig neue Gestaltungs- und Organisationsformen, wie diese des Internets. Aus dem ursprünglichen Kommunikationsmittel für Menschen via Computer hat sich ein digitales „Allesnetz“ (Internet of Things, IoT) entwickelt, das allgegenwärtig und uneingeschränkt den Menschen bei seinen Tätigkeiten unterstützt. Dies drückt sich allererst in einem natürlichen Kommunikationsstil „Mensch-Computer“ oder „Mensch-Maschine“ aus, der auf Verständnis, Dialog und Assistenz basiert und die Vernetzung von mehreren Kommunikationskanälen voraussetzt. Der digitale Wandel ist im vollen Gang und birgt weitgehende Transformationen in allen menschlichen Lebensbereichen, Gesellschaftsformen, Technologie, Ökonomie und Wertesysteme in sich.
Die gute Nachricht ist, dass der Digitalcode kein Geschlecht, Nationalität oder Alter hat. Anders als bei den „klassischen“ Analogberufen geht es in der digitalen Welt um völlig neue Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, unabhängig davon, ob es um Frauen oder Männer geht. „Die Ideen sind nicht verantwortlich für das, was die Menschen aus ihnen machen“ hat einmal Werner Heisenberg, Physiker und Nobelpreisträger gesagt. So vielversprechend die Ideen und leistungsfähig die digitalen Technologien auch sein können, von jetzt ab stehen die Menschen und die Rückgewinnung deren unterschiedlichsten Fähigkeiten im Mittelpunkt der Betrachtung. Aus dem „Internet der Dinge“ wird nun das „Internet der Talente“ (meine Interpretation). Durch digitale Bildung und Qualifikation verlieren Vorurteile, Traditionen und physischen Randbedingungen (u.a. Verfügbarkeit und Präsenz vor Ort) an Bedeutung. Fähigkeiten des vernetzten Denkens, mit dem Blick für das große Ganze, sind wie nie zuvor gefragt.
Das Leben ist analog, die Kommunikation dagegen mehr und mehr digital. Dieser Trend entwickelt sich exponentiell und bietet ungeahntes Potential für neue Berufe und Qualifikationen, insbesondere für Frauen. Das aller wichtigste ist es, die alten Stereotype über Männer- und Frauenberufe abzuschaffen und nach vorne zu blicken. Was für ein erfühltes Berufsleben zählt ist die persönliche Motivation und Vision, nicht irgendein Erfolgsmodell.
Anbei drei Tipps aus meinem Berufsleben:
- Vorne ist wo sich noch keiner auskennt und dafür gibt es noch keine Roadmap. Unternimm alles, um Deine Ideen zu verwirklichen ganz gleich, was in Deiner Stellenbeschreibung steht.
- Überholen geht nur, wenn man die Spur wechselt. Bleibe Deinen Zielen treu, aber auch realistisch im Hinblick auf die Wege zu ihrer Erreichung.
- Folge Deiner Intuition, welche Leute Du aussuchst und arbeite nur mit den besten.
6. ZUM SCHLUSS NOCH EINE „PERSÖNLICHE“ FRAGE – ZUR DIGITALISIERUNG IHRES ALLTAGS: WELCHE WEBANWENDUNGEN FINDEN SIE BEREICHERND, WENN SIE IM NETZ – BERUFLICH ODER PRIVAT – UNTERWEGS SIND?
Unter den unzähligen Webanwendungen, die mein Alltag begleiten, sind für mich Google, Wikipedia und Spotify unverzichtbar. Google ist immer noch das schnellste „Fischernetz“ im Datenozean, auch wenn ich mir mehr Intelligenz im Suchprozess wünsche. Wikipedia macht die Wissenssammlung der Menschheit für jeden zugänglich, was in meinen Augen eine richtige Enzyklopädie nicht ersetzen kann aber ein bewundernswertes Ideal ist, und Spotify schafft für mich eine Art Virtuelle Realität der Streaming-Welt.
(NL02/2020)